Galathea & Pygmalois

Nach all den Jahren der Beschäftigung mit dem „Modell“, mit dem Modell der Malerei, zuerst mit dem Modell der Malerei Renner, später mit der Malerei und dem damit verbundenen Traum von Modell-Wirklichkeit, musste es zu Galathea kommen.

Nach all den Jahren der Beschäftigung mit dem „Leben“ in der blauen Grotte meines Ateliers musste es zu Galathea kommen, Galathea als Paradigma für das zum Leben erwachte Werk. Die magische Haltung bleibt,obgleich sie als überwunden gilt, in einer Fehlleistung erhalten. Aby Warburg schrieb (am Rosenmontag, 1888) über die „Lebendigkeit“ der Kunst: „Du lebst und thust mir nichts“.
Der Mensch als Maß aller Dinge ist für die Kunst das Wichtigste! Im Ruheschatten der großen Ausstellung im Salzburg Museum 2017 war es still genug, um endlich Körper zu Papier zu bringen. In der Altstadt hingen die Ausstellungsplakate mit dem Barberinischen Faun, viele Jahre lang meine Maßeinheit für das menschliche Modell, immer schon dem Spiel mit der Grenze ins Künstliche verschrieben, werden es nun Puppen sein—dolls. Puppen werden immer weiter dem Abbild des Lebendigen angeglichen, sie kommen mir als Modelle gut entgegen, bar jedweder Schamgefühle und mit unendlicher Geduld zum Stillhalten. Das Modell hält mich gefangen, es kommt zu Galathea. In der mannigfachen Verkleinerung meiner Umgebung hin zum Modell bleibt immerzu der Wunsch nach Wirklichkeit: Wirklichkeit durch das verkleinerte Abbild von Wirklichkeit mittels künstlerischer Fertigkeit und Verdichtung. Verkleinerungen, Montagen und Perspektiven arbeiten gegen einen oberflächlich simplifizierten Sinn- und Formzusammenhang, um auch Erfahrungen unter der Oberfläche abstrahieren zu können. Was andere für realistisch oder auch unrealistisch halten, ist immer eine Erfindung, und keine Aussage. („Gestaltung heißt Nichtgestalt“, sagte einst Adorno) Dabei nehme ich mir seit jeher die Mittel des Verlaufs oder des Übergangs zu Nutze. Eine Sache ist an einer Seite roh, offen und halbfertig, an einer anderen ist sie fertig gestellt, ist sie perfekt. Dazu eignet sich kein Ort der Welt besser als das Atelier des Künstlers. Nur hier kann ein Kunstwerk in seiner Entstehung auch halbfertig existieren.So ist es nicht überraschend, dass schon in den Jahren zuvor galatheische Figuren das Atelier bewohnten, oder mehr noch, dass das Atelier selbst eine Galathea ist.
Wenn es keine Außenwelt der Kunst mehr gibt, dann gibt es gar keine Grenze mehr zum Leben. Als Kind und Schüler habe ich meine Leinwand von einer Ecke in die andere fertig gemalt, mit dem Anspruch auf Vollendung und Bewältigung. In der Akademie Düsseldorf musste ich lernen, dass das Bild immer „als Bild“ fertig sein muss—so als könnten die Bild-Schaffenden ganz plötzlich versterben und nur das halbfertiges Bild bliebe über. Ausgerechnet in der Klasse von Gerhard Richter habe ich das schmerzvoll erfahren, durch einen sehr intelligenten Kommilitonen namens Stefan H., der mir klar machte, dass ein Bild immer fertig sein müsse, immer —egal was passiert!
Eine Leinwand, eine grundierte Leinwand, Grundfarbe mit farblicher Skizze usw…, so wie das Schachbrett in der berühmten Weizenkornlegende, welches auf dem ersten Feld von 8 x 8, also 64 Feldern, auf dem ersten Feld ein Reiskorn hat, auf dem zweiten Feld zwei Reiskörner, auf dem dritten Feld vier und auf dem vierten Feld acht, also immer doppelt so viele wie auf dem Feld zuvor. Dieser Vorgang führt nach 64 Feldern nicht zu ein paar Millionen Reiskörnern, sondern laut Internet zu etwa der 1200-fachen weltweiten Weizenernte des Jahres 2004 = 624 Mio.t.

Nur durch ständige Vervielfältigung der lesbaren Bildinformation kommt es zu einem starken Bild, so die damalige Meinung in der Klasse Richter—stark nicht nur in seiner Wirkung nach außen, sondern
auch durch die Vervielfältigung unserer eigenen Macht über das Abbild des Gegenstands. „Ich denke nicht, ich male“, hat Gerhard Richter einmal gesagt. Wenn das Bild immer schon fertig ist, dann müssen auch die Vorlagen von Richters Malerei—also die Fotos, die er abmalen wird—immer schon fertig sein, so entsteht die Sammlung seiner Fotos, so entsteht sein Atlas.
Das Malen funktioniert nur, wenn alles andere geklärt ist, also alles bis auf die Liebe, dazu braucht man das Gehirn, während man malt. Alle denken an die Liebe, während sie arbeiten. Deshalb habe ich 30 Jahre mit Vorbereitung zugebracht, damit ich jetzt mein Hirn beim Nachdenken über die Liebe nicht stören muss. Liebe ist das Gegenteil von Denken! Der Vorgang des Malens und Zeichnens ist tatsächlich ein fließender, der nur dann schnell genug fließt, wenn das Gesehene vom Auge direkt in die Hand fließt. Fehlleitungen, Umleitungen durch das Gehirn sind möglich, aber nicht förderlich. Beweis: Die Farbe trocknet beim Denken ein!
Auch wenn ich Malerei grundsätzlich als Schnitt durch die Zeit betrachte, als ein Bild vom Jetzt, oder vom Gestern oder vom Morgen, aber immer als einen Moment der reinen Sichtbarkeit und nicht der selben Lesbarkeit wie bei Literatur oder Film, weiß ich, dass es viele Gemeinsamkeiten von Lesen und Sehen gibt. Narrative Kategorien werden auf visuelle Kunstwerke angewandt, Bilderzählungen werden
gemacht. Nicht nur in der Kunstgeschichte, im Barock oder im französischen Klassizismus. Jedes Kunstwerk situiert sich in meinem schon vorhandenen Universum, ob ich als Schöpfer das will oder nicht. Der Rekurs auf das Vorhandene gehört zu den Grundelementen künstlerischer Produktion.
Wie beschreibt sich die rote Verbindung zwischen meinen Bildern?
Galathea wird irgendwann in ihrer Geschichte zu My fair Lady. Was bekommt Eliza? Spracherziehung. Immer verwandelt sich das Objekt des Begehrens in etwas, das der Künstler nicht mehr kontrollieren kann. Deshalb steigt wie in einem loop bereits Galathea 2 aus dem Wasser in meinem Bild, die technische Belebung zur verdichteten Idealfrau kann neu beginnen. Mein Modell von Frau wird im Modell „geopfert“, um es danach wieder neu zu erfinden, um es aus der Ursuppe meines Atelierpools neu auferstehen zu lassen. Im Übrigen kommen meine Galatheas wie Eliza aus der Vorstadt.